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Faustfestival Ismaning 2022

Nach zwei langen „Corona-Jahren“, ohne viel Kunst für Geist und Seele, haben sich im Juli vier Schulklassen zum 3. FAUST-Festival

 an der Rudolf-Steiner-Schule Ismaning eingefunden und gemeinsam eine Woche höchsten Kunstgenusses erschaffen. Eigentlich hätte das Festival bereits im Februar stattfinden sollen. Da jedoch die Situation eine solch große Veranstaltung nicht gestattet hätte, wurde die Veranstaltung verschoben. Eine Klasse musste absagen, eine neue wurde gewonnen, und so startete das Festival dieses Jahr wieder mit vier Klassen aus vier Schulen. (Foto links: Faust 2, Akt 5, 11.Klasse der Waldorfschule Rosenheim)

 

„Gretchens Stube“ oder „Mummenschanz“

Die Logistik lief bereits seit über einem Jahr im Hintergrund, was erst in der Festivalwoche deutlich wurde. Es wurden für alle Gäste, trotz kurzfristiger Terminänderung, Unterkünfte gefunden. Vor Ort waren alle Dienste für die teilnehmenden Klassen verteilt und dennoch blieb Zeit für Pausen. Zudem sorgten einige Klassen der Rudolf-Steiner-Schule Ismaning mit unterschiedlichen Essens- und Getränkeständen für kulinarische Stärkungen vor, während und nach den Aufführungen. Wer sich stärken wollte, konnte in „Gretchens Stube“ oder im „Mummenschanz“ behaglich schmausen und in Gesprächen Gleichgesinnter schwelgen.

Wer sich in das Thema vertiefen wollte, konnte sich in den „open-space“ begeben und im Austausch mit Dr. Klaus Weißinger und anderen tiefere Sphären des „Faust“ ergründen.

Festival-Feeling und tiefer Kontakt unter den Schüler*innen unterschiedlichster Schulen

Die Schülerinnen und Schüler gaben jeweils eine Abendvorstellung und eine Vormittagsvorstellung. Danach musste für die nächste Schule die Bühne geräumt und die Umkleide frei und sauber sein. In dieser Zeit packten viele helfende Hände mit an und bauten die Bühne um oder verräumten Kulissen. Die HelferInnen waren eingeteilt und die Schulen unterstützen sich gegenseitig.
Außerdem war die Beleuchtungstruppe aus Ismaning vor Ort und half mit vollem Einsatz dabei, dass die Beleuchtung richtig eingestellt werden konnte und alles funktionierte. Die Wechsel verliefen reibungslos und so konnte jeden Abend eine neue Klasse im Rampenlicht stehen.
Um einen tieferen Kontakt mit den anderen Schulen knüpfen zu können, wurden am Nachmittag Gesprächsgruppen für die Schauspieler*innen veranstaltet, die einen Austausch und ein tieferes Kennenlernen ermöglichten.
Neben all der geistigen Nahrung gab es dennoch Zeit, die Seele baumeln zu lassen und sich an einem freien Nachmittag in der kühlen Isar zu erfrischen oder abends durch die Straßen Münchens zu ziehen.

Die Woche begann für die Gäste am Montagabend mit einem Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer zum Thema „Goethes Faust – menschliche Tragödie und göttliche Komödie“.
Am Dienstagnachmittag hielt Dr. Klaus Weißinger einen Vortrag mit dem Thema „Ich und Welt im „Faust“- was für ein Drama“.
Danach starteten die Theatervorführungen. Diese wurden am Nachmittag immer mit einer inhaltlichen Einführung durch Dr. Klaus Weißinger eingeleitet.

Der ganze FAUST

Faust 6170

Teil I: 12. Klasse der Rudolf-Steiner-Schule Ismaning

Die 12. Klasse der Rudolf-Steiner-Schule Ismaning wagte sich am Dienstagabend und Mittwochvormittag an den ersten Teil des „Faust“. Regie führten Dr. Klaus Weißinger und Cristina Peteanu.
Die Klasse hatte sich entschieden, dass sich Faust und Mephisto in der Hexenküche verwandeln. Sichtbar wurde das durch den Tausch der Besetzung. Mit viel Einsatz und Courage traten die Persönlichkeiten auf die Bühne. Ein schüchternes Gretchen, welches schließlich fiel und als Verwirrte sich im Kerker wiederfand. Eine überzeugende Nachbarin, die sich als Kupplerin versuchte. Das Geschehen gipfelte förmlich in der Walpurgisnacht mit flackernden Lichtern, kreischenden Wesen und einem Spiel mit Licht und Schatten. Sogar der Regisseur Dr. Klaus Weißinger fand sich auf Wunsch der Klasse in dieser Szene als alte Hexe Baubo auf der Bühne wieder.
Ein wahnsinnig verkopfter und philosophierender Faust verwandelte sich in einen suchenden, wandernden, Gefühle entdeckenden Faust. Begleitet durch Mephisto, der sich als Pudel in sein Leben schlich und „puff“ auf einmal als Mensch vor ihm stand, um ihn in die „kleine und die große Welt“ zu führen.

Die Schüler*innen sagten selbst:

„Es stellten sich uns viele Aufgaben, die wir alle nach und nach als Klasse meisterten. Es galt, sich von schlechten Tagen nicht entmutigen zu lassen und dranzubleiben; für das große Ganze.“

„Für mich war es beeindruckend zu sehen, dass vier Schulen, mit individuellen Inszenierungen ein großes Ganzes auf die Bühne bringen können.“

„Es war so unterschiedlich und dennoch ergab es ein großes Ganzes, ein beeindruckendes Ergebnis.“

„Die Rolle des Mephisto reizte mich, unter anderem wegen des Wahnsinns, der ihn manchmal bewegt.“

 

Faust 2 Akt 12

 

Teil II, 1.+2. Akt: 12. Klasse der Waldorfschule Saar-Hunsrück

Die 12. Klasse der Schule Saar-Hunsrück wagte sich am Mittwochabend und Donnerstagvormittag an die ersten beiden Akte des zweiten Teiles. Regisseurin war Isabelle Fortagne-Dimitrova.
Ein imposanter Kaiser suchte Rat und bekam diesen durch einen Trick von Mephisto. Die Sphinxen sprachen in einer Weise synchron, dass man meinte, eine Person spräche. Der Meereskönig sprach gebieterisch. Ein unglaublich schöner Homunkulus bewegte sich über die Bühne; einen Geist in einer Flasche in Persona zu gestalten, sei keine leichte Aufgabe, sagte Dr. Klaus Weißinger in der Einführung. Die Umsetzung ist dem Ensemble hervorragend geglückt.

Schülerstimmen:

„Wir haben teilgenommen, weil uns die Idee faszinierte, an einem anderen Ort aufzuführen. Auch wollten wir gerne mit anderen Schulen Kontakte knüpfen und die Vorstellung, dies auf einem Festival zu tun, gefiel uns. Die Herausforderung, andere Klassen zu erleben und sich raus aus der Komfortzone zu begeben war in der Vorstellung größer als das tatsächliche Erleben. Es war nicht schlimm, im Gegenteil, wir haben uns gegenseitig animiert alles zu geben, weil man gesehen hat, was die anderen machen.“

„Man geht mehr aus sich heraus und traut sich mehr, wir haben mehr gegeben. Man erlebt, dass das, was man tut, auf der Bühne super ankommt und nicht komisch wirkt.

„Es war eine tolle Erfahrung, wir waren Teil von etwas Großem, etwas nicht Alltäglichem. Sich in die Rollen einzufinden, beispielsweise in die Rolle des Mephisto, dazu muss man aus sich heraus gehen und beispielsweise bösartig, scharf und selbstbewusst auftreten. Faust an sich ist ein altes und schweres Werk. Aber zu sehen, wie unterschiedlich inszeniert wurde, macht den Faust auf einmal sehr spannend.“

 

Faust 2 Akt 34

 

Teil II, 3.+4. Akt: Waldorfschule Oldenburg

Darauf folgte am Donnerstagabend und Freitagvormittag die Inszenierung des 3. und 4. Aktes des zweiten Teils, der Waldorfschule Oldenburg, unter der Regie von Simeon Wutte.
Der erste große Unterschied war, dass es Musik gab, die manchmal wie in Filmen die Szenen untermalte und so die Stimmung beeinflusste. Der Auftritt des verwandelten Mephisto war ein ebensolcher. Drei Personen verkörperten die gruselige Figur Phorkyas (Mephisto), mit einem riesigen, abgemagerten Kopf und riesigen Spinnenfingerhänden. Die Figur konnte einen gruseln lassen.

Schließlich löste sie sich auf und es bewegten sich drei Mephistos über die Bühne, die sich in schneidender Weise mit den anderen Personen unterhielten. Euphorion wagte einen beeindruckenden Sturzflug hinter die Bühne und auch sein Spiel mit den Gespielinnen war einerseits lieblich und dann wieder viel zu grob.
Das war dermaßen gut gespielt, dass man im Zuschauerraum zweimal hinblicken musste, um sich zu vergewissern, dass man sich im Theater befand. Die Schlachten, die in diesen Akten stattfanden, zeigten eine zeitliche Entwicklung. Ging die erste Schlacht noch mit Stöcken, Mann gegen Mann, einher, so erklangen in der zweiten Bombenexplosionen und fernes Maschinengewehrgeratter. Die Aufführung endete mit einem großartigen, den ganzen Saal miteinbeziehenden Lied. Alle sangen gemeinsam. Ein Gefühl der Zuversicht und Hoffnung und Gemeinschaft legte sich über all die Spannung der vergangenen 1,5 Stunden.

Die Schüler*innen berichteten:

„Für uns war es eine einmalige Gelegenheit, auf diese Weise Teil eines Festivals zu sein."

„Wir hatten eine Menge Spaß am Spiel und gleichzeitig war es viel mehr. So etwas Großes wie Faust mit anderen Schulen gemeinschaftlich auf die Bühne zu stellen, sich zu verbinden, gab uns viel Motivation und Ehrgeiz.“

 

Faust 2 Akt 5

 

Teil II, 5. Akt: 11. Klasse der Waldorfschule Rosenheim

Den Abschluss bildeten die Aufführung am Freitagabend und Samstagvormittag, des 5. Aktes des zweiten Teils, durch die 11. Klasse, der Waldorfschule Rosenheim, ebenfalls unter der Regie von Simeon Wutte.

Faust war im Laufe seines Lebens ein wenig zu einem Nimmersatt avanciert, was er sah, wollte er haben. Deshalb sollte Mephisto für ihn die Alten von ihrer Düne „umsiedeln“ und musste dann feststellen, dass Mephisto seine ganz eigene Vorstellung von „umsiedeln“ hatte. Die „Sorge“ besuchte Faust und versuchte, ihn für sich in Beschlag zu nehmen, doch Faust ließ sie nicht gewähren. Schließlich neigte sich sein Leben dem Ende zu, Faust verlor sich scheinbar im Moment und Mephisto glaubte den Sieg errungen zu haben.

Da betraten fünf gruseligste Wesen den Saal, um Fausts Seele in Mephistos Reich zu holen. Sie gingen durch das Publikum und ließen den einen oder die andere erschaudern. Das Publikum war völlig gebannt. Sie versuchten, Fausts Seele zu gewinnen, als die Engel die Bühne betraten und Rosen auf die Wesen streuten, mussten sie aufgeben.

Mephisto war im wahrsten Sinn des Wortes hin und weg von den jungen Engeln und verlor sich in Schwärmereien und Begeisterung, eine herrlich ironische und dennoch durch und durch überzeugende Darstellung.

Die Schüler*innen sagten:

„Die Texte des Faust sind schwierig zu lernen. Aber wenn man spielt, kommt man plötzlich in einen Flow.“

„Wir haben mitgemacht, weil uns die Vorstellung faszinierte, mit so vielen Schüler*innen zusammen ein Theater zu spielen. Wir waren eine große Gemeinschaft. Es war schön zu sehen, dass aus vielen kleinen Teilen ein großes Ganzes wurde.“

 

Faust 2 Akt 12 2Alle sind über sich hinausgewachsen

Die Inszenierungen der verschiedenen Klassen waren, jede für sich, einmalig und mit Liebe zum Detail bestückt. Es wurde mit eher schlichten Bühnenbildern in schwarz und weiß gearbeitet, was den DarstellerInnen umso mehr Raum bot, sich zu entfalten. Obwohl es vier unterschiedliche Inszenierungen waren, zog sich ein Detail durch alle, wie ein rotes Band: jeder Mephisto hatte etwas Rotes in seinem Kostüm.

Wunderschön war, zu sehen und erleben zu dürfen, wie die Schüler*innen über sich hinauswuchsen und den Saal mit ihrem Schauspiel in den Bann zogen.
Es ist ein Schmaus für Seele, Geist und Leib entstanden, der noch Wochen und Monate nachwirken wird. Vielen herzlichen Dank an alle großen und kleinen Helfer.
Wir freuen uns auf ein nächstes Mal.

Foto links: Faust II, Akt 3+4, Waldorfschule Oldenburg

Autorin: Lina Basler-Stolz, Schülerin-Mutter

© Alle Fotos dieser Seite: Florian Flade, https://www.fladesign.de

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